Zeitlupe ist interaktiv – in Echtzeit & Echtraum. Was, wenn mitten in der schnelllebigen Stadt ein Areal betreten werden könnte, auf dem sich plötzlich alle Bewegungen, alle Geräusche, alle sprachlichen Äußerungen verlangsamten? In unserer Reihe ZEIG MIR, WAS ZEIT IST präsentieren wir eine interaktive Open air-Variante zum Themenkreis ZEIT. Wir starteten die SLOW MOTION ZONES im Sommer 2020 als Straßenperformance im Rahmen von „WOHNSTRASSENLEBEN“ in Kooperation mit space and place. Personen waren (und sind weiterhin) eingeladen, Zeit zu dehnen. Übrigens: Bei dieser Straßenkunstaktion liegt der projektinterne Rekord im Langsam-Gehen einer Strecke von 10 Metern bei 20 Minuten (d.h. bei 2 Minuten pro Meter
Zeitbremsung als unsichtbares Band zwischen den Performenden
Bewusst verlangsamte Bewegungsabläufe im öffentlichen Raum können zum Statement werden. Von speziellen Soundtracks begleitet, passieren wir verschiedene (Stadt-)Punkte und (Stadt-)Objekte. Wenn gewünscht, werden Szenenabläufe vor Beginn der Aktion vereinbart. Auch bietet sich die Möglichkeit, Bewegungen aktiv zu gestalten, sie zu vergrößern, zu variieren und neu zu erfinden. Und überhaupt: Ungewöhnliche und fantasievolle Arten der Fortbewegung, des Gehens, Schreitens, Schlenderns, Trippelns, Schlängelns, Tänzelns sind herzlich willkommen. Meist entstehen lustvoll-skurrile Bewegungsmuster ganz von selbst, wenn Gänge in kleinste Abläufe zerlegt und fortan nicht mehr als Automatismen wahrgenommen werden.
Vom Geheimnis der performativen Langsamkeit
Verlangsamung ist keineswegs nur ein physikalischer Begriff, der bloß die Änderung einer Größe angibt. Änderung von Geschwindigkeit hat eine stark emotionale Komponente. Viele Handlungen im Alltag sind an bestimmte Geschwindigkeiten gebunden. Bewegt sich jemand langsam, passt diese Bewegung oftmals nicht ins gewohnte (Stadt-)Bild, und andere sind allzu schnell versucht zu helfen, zu beschleunigen – oder weichen dieser Person großräumig aus. Doch mit Beschleunigung kappen wir immer einen Teil unserer Erfahrung, intensivieren die Quantität der Bewegung und mindern ihr qualitatives Erleben. Manchmal gehen dabei Denk-, Interpretations- und Beurteilungsspielraum verloren.
Add on: Slow Talks
Kann sein, dass Interaktionen in Langsamkeit mit Peinlichkeiten beginnen. Mit etwas Geduld und Experimentierfreude kann die begonnene Aktion in ein vielschichtiges Spiel wechselseitiger Gesichtsmimiken münden. und Kommunikationsmöglichkeiten eröffnen. Bewusste Sprachververzögerungen bei „SLOW MOTION TALKS“ können sogar Obertöne in der Stimme hervorbringen. Positiver Nebeneffekt: Man fällt einander nicht (mehr) ins Wort, man hat „viel Zeit für Gesprächspausen“ und für wohlüberlegte Antworten. Personen, die an „Slow Talks“ im Rahmen der Straßenkunstaktuon teilgenommen haben, werden sich lange an diese „Gespräche“ erinnern.
Alternative zur Scheinwelt der Film-Zeitlupe
Den MÄRCHENBILDERN, welche die filmischen Zeitlupe aus realen Situationen macht, setzen wir ECHTE ZEITVERZÖGERUNG entgegen – performativ und interaktiv. Denn Zeitverzögerung als dramaturgische und eigenbestimmte Improvisationsvorgabe bietet gleichermaßen Refugium wie auch Performance-Podium. Beteiligte steuern Bewegung und Erfahrung durch den Stadtraum – und erschaffen ganz nebenbei theatralische Zeit-Welten in dicht verbautem und verkehrsintensivem Gebiet.
Solche und viele weitere Überlegungen unserer Audiokunstgruppe führten zur SLOW MOTION ZONES-Konzeption (Walter Kreuz). Ein wesentliches Element stellen die für das Projekt von Evelyn Blumenau gestalteten Soundtracks dar, die dieser Straßenkunstaktion den tonalen Raum geben. Die Aktionen finden selbstverständlich unter Einhaltung aller notwendigen Sicherheitsbestimmungen statt.