Die nomadische Freiheit der Kunst (Evelyn Blumenau)
gecko art bewegt mit Kunstaktionen den öffentlichen Raum. Auf die Frage ‚Was machz ihr da?’ geben wir selten eindeutige Antworten. Denken wir nur an unser Sprachenschiff, eine Schiffsattrappe ohne Boden und auf nicht sichbaren Rädern. Die jungen Menschen stiegen ein und befanden sich in einem neu definierten Raum, sei es im Mitteldeck, im Kapitäninnenbereich oder am Steuerrad. Erst durch den Einstieg des Publikums, das eben gar nicht nur Publikum ist, wurden unsere mobilen Theateraktionen zu Erlebnissen, die selten vorhersehbar sind. Menschen sind keine Mitmach-Maschinen. Das Sprachenschiff war dafür prototypisch. Von 1998 bis 2009 haben wir auf unseren Schiffsfahrten, die uns in zahlreiche Städte brachten, unzählige MatrosInnen an Bord gehabt. Und es geschah wie von selbst, dass wir uns von allen inneren Bildern, die wir ursprünglich selber von dieser Schifffahrt hatten, verabschiedeten.
Da gab es Brüll-Fahrten, auf denen wir uns die Befehle gegenseitig zuschreien mussten, weil der Lautstärkepegel ins Unermessliche stieg, es gab Fahrten, auf denen kaum gesprochen, sondern eher viel geschaut und beobachtet wurde, und es gab Momente, in denen wir den Eindruck hatten, das Schiff bewege sich allein durch die Geisteskraft der Mann- und Frauschaft. Der walking act als telekinetisches Gruppenerlebnis? Wie auch immer – jede Gruppe, und sei sie auch noch so kurz zusammen, gibt und nimmt sich eben das, was sie braucht.
Menschen zum Sprechen bringen …
In allen unseren Aktionen, sei es nun im schulischen Bereich oder im Öffentlichen Raum, sei es mit Jugendlichen oder mit Erwachsenen geht es um die Freude am „Hier und Jetzt“. Die Zutaten sind schnell erklärt: Man nehme ein bestimmtes Thema, versetze es mit einer gehörigen Portion Zuhör-Empathie, verrühre diese mit Diskursivität und würze das Ganze mit Spielfreude. Zu Beginn jeder Audio-Arbeit ein wenig Hör- und Sprechdampf abzulassen finden wir gut. Auch das Schweigen an sich bzw. eine anfängliche Ideen-Leere begrüßen wir. Unsere eigenen Erwartungshaltungen versuchen wir zu vergessen. Wir geben gerne zu, dass wir in manchen Workshops nicht immer daran glauben, dass wir zu einem Ergebnis in Form einer Radiosendung oder eines Hörfeatures kommen. Trotzdem gibt es in 99,95% aller Fälle einen Punkt, an dem sich in der Gruppe etwas bewegt. Das Ergebnis ist ein gemeinschaftliches Hörprodukt, welches man/frau/die Gruppe sich selbst möglicherweise zu Beginn nie zugetraut hätte.
Das Mikrofon: der perfekte Zuhörer
Sich im Audio-Raum zu bewegen ist eine uneitle Sache. Es geht dabei nicht ums Aussehen, um das perfekte Make-Up oder um die größten Muskeln. In der Gruppe zusammen zu sitzen und sich der anfänglichen Ideen-Leere bewusst zu sein, ist viel mutiger. Und wenn sich schließlich etwas bewegt und dieses Etwas freigelassen wird, dann fängt es an, so richtig Spaß zu machen. In diesem Sinne lädt gecko art zu einem spannenden und abwechslungsreichen Programm ein, in dem die nomadische Freiheit der Kunst voll ausgekostet wird.
FEDER, LUFT & LINSE, das gecko art-Magazin (Artikelsammlung Gedanken und Reflexionen seit 2008) erscheint in unregelmäßigen Abständen. Ausgewählte Artikel liegen auch in Printform vor (wie etwa 20 Jahre gecko art – Rückblick).